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Offener Brief an die Heimatvertriebenen

Hannover, 18. März 2022


Sehr geehrte Damen und Herren,

liebe Heimatvertriebene,


uns allen ist in dieser unsicheren Zeit das Herz schwer und wir blicken voller Entsetzen auf den schrecklichen und menschenverachtenden Krieg in der Ukraine. Ein Krieg in Europa, der uns fassungslos macht.

Berthold Auerbach sagte einmal „Wer nicht mit dem zufrieden ist, was er hat, der wäre auch nicht zufrieden mit dem, was er haben möchte“. Dieser weise Spruch geht mir in den letzten Tagen immer wieder durch den Kopf, wenn ich über Putins grausamen Krieg nachdenke.

Die Frage, wann dieser Krieg beendet sein und was danach kommen wird, beschäftigt wohl die meisten Menschen weltweit, denn dieser Krieg und seine Folgen werden viel Leid auf der ganzen Welt auslösen. Ich denke in diesen Tagen oft an meine Eltern, die beide als Kinder den zweiten Weltkrieg erlebt haben. Aus ihren Erzählungen weiß ich, dass sie die Angst vor einem Krieg ihr ganzes Leben lang nicht mehr losgelassen hat. Das schwere Trauma lag immer auf ihren Schultern, ist mitgewachsen und hat ihr Leben als Erwachsene nachhaltig geprägt. Es tröstet mich ein wenig, dass sie in Frieden gehen konnten und nun diesen Krieg in der Ukraine nicht mehr erleben müssen.

Zurzeit erreichen mich täglich Anrufe, Briefe und Mails von Menschen, die im Zuge des zweiten Weltkrieges kämpfen mussten, obwohl sie eigentlich noch Kinder waren; von Menschen, die in russischer Kriegsgefangenschaft oft dem Tod näher waren als dem Leben; von Menschen, die auf der Flucht und während der Vertreibung mit dem Verlust der Heimat und ihrem verzweifelten Überlebenskampf zurechtkommen mussten; von Menschen, zu deren Kindheitserinnerung Schmerz, Leid und Tod gehören und die ihrer Kindheit beraubt wurden. Und nun werden diese Menschen im hohen Alter mit unaufhaltsamer Wucht zurück in ihre persönlichen Kriegstraumen katapultiert. Plötzlich ist alles wieder da, was über Jahrzehnte tapfer verdrängt wurde. Viele Betroffene sind erschrocken über die Macht der Erinnerungen und fühlen sich in dieser Situation ohnmächtig. Wer hat damals schon das Erlebte aufarbeiten können? Es wurde nicht oder nur sehr selten darüber gesprochen und die allermeisten mussten das Grauen für sich alleine verarbeiten. Wenn ich heute darüber nachdenke, wird mir noch einmal sehr deutlich, dass damals eine ganze Generation mit ihren Wunden auf der Seele und im Herzen alleingelassen worden ist. Das erfüllt mich mit tiefem Schmerz.

Wenn auch Sie in diesen Tagen von Erinnerungen eingeholt werden, die Ihnen schwer auf der Seele liegen, dann sollten Sie unbedingt darüber sprechen. Sicher werden Ihre Angehörigen das verstehen und Ihnen gerne zuhören. Wenn Sie niemanden haben, dem Sie sich anvertrauen können, nutzen Sie bitte die Krisentelefone der Kirchen und anderer Hilfsorganisationen. Schreiben Sie Ihre Gefühle und Ängste auf und schicken Sie mir diese gerne zu. Auch das kann Ihnen in der momentanen Situation guttun.

In uns allen steckt die Hoffnung, dass dieser furchtbare Krieg bald ein Ende finden wird. Lassen Sie uns in dieser Zeit Seite an Seite stehen, um den abscheulichen Taten Putins die Stirn zu bieten.

Unser Mitgefühl und unsere Gebete sind bei den Menschen, die in der Ukraine für ihr Land, ihre Demokratie und ihre Freiheit kämpfen. Wir fühlen mit den Kindern, Frauen, Alten und Kranken, die keine Möglichkeit haben aus der Ukraine zu fliehen und diesen brutalen Krieg vor Ort ertragen müssen. Unsere Anteilnahme zeigen wir denen, die bei uns Schutz und Sicherheit suchen. Wir spenden Trost und geben Zuversicht, wir sammeln Geld- und Sachspenden, um das große Leid der Menschen in und aus der Ukraine ein wenig zu mindern.

Und wieder sind es Frauen, die über sich hinauswachsen, um ihre Kinder und die alten und kranken Familienangehörigen in Sicherheit zu bringen. Stehen wir ihnen bei! Meine Gedanken begleiten Sie.


Herzliche Grüße


Ihre

Editha Westmann

Artikel-Informationen

Ansprechpartner/in:
Verbindungsbüro zur Niedersächsischen Landesbeauftragten für Heimatvertriebenen, Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler

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